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Umgang mit Stress lässt sich lernen - Neue Studie zeigt: Schon eine 30-Minuten-Übung kann erhebliche Änderungen bewirken

Eine kurze Schulung kann junge Menschen effektiv vor Stress schützen. Diese neu entwickelte Lerneinheit basiert auf der Idee, dass Stress nicht zwangsläufig negativ sein muss. Die halbstündige Onlineschulung zeigt erstaunlich lang anhaltende Effekte, insbesondere bei Menschen, die bereits belastet sind.

Bereits eine 30-minütige Übungseinheit kann langfristig den Umgang mit Stress verbessern, wie Forscher der University of Texas und anderer US-amerikanischer Forschungseinrichtungen in umfangreichen Studien gezeigt haben. In der Fachzeitschrift "Nature" berichten sie, dass sich die Noten von sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern verbesserten und Studierende während der Corona-Pandemie weniger Ängste hatten, nachdem sie das halbstündige Programm einmalig absolviert hatten.

Das Forschungsteam um David Yeager führte insgesamt sechs Experimente mit über 4000 Teilnehmern durch. Schülerinnen und Schüler sowie Studierende wurden zunächst einer psychisch belastenden Situation ausgesetzt, indem sie sich entweder eine solche Situation vorstellten oder vor einem skeptisch wirkenden Publikum eine spontane Rede hielten. Anschließend mussten sie öffentlich Rechenaufgaben lösen. Diejenigen, die zuvor das speziell für die Studie entwickelte Stresstraining absolviert hatten, empfanden die Aufgaben als weniger belastend. Dies zeigte sich auch in physiologischen Messwerten wie der Herzaktivität.

Die entscheidende Frage der Forschung lautete: Übertragen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die erlernten Lektionen auch auf ihren Alltag oder lassen die Effekte nach kurzer Zeit nach? Um dies herauszufinden, absolvierten 14- bis 16-jährige Schülerinnen und Schüler, die größtenteils aus ärmeren Familien stammten und sich hauptsächlich als People of Color identifizierten, das Onlinetraining. "Wir haben diese Gruppe ausgewählt, da Schüler, die mit einer Kombination aus sozioökonomischer Benachteiligung und anspruchsvollen schulischen Anforderungen konfrontiert sind, oft unter chronischem Stress leiden", schreiben die Forscher. 14 Tage nach dem Stresstraining füllten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Woche lang zweimal täglich Fragebögen aus und gaben Speichelproben ab. Im Vergleich zur Kontrollgruppe hatten die Absolventen des kurzen Kurses insbesondere an anspruchsvollen Tagen ein höheres Selbstwertgefühl. Zudem war ihr Kortisolspiegel, das Stresshormon, niedriger.

Ohne das Wissen der Jugendlichen wurden am Ende des Schuljahres die Noten der Probanden von der Forschungsgruppe ausgewertet. Dabei stellte sich heraus, dass 63 von 100 Teilnehmenden, die vor einem halben Jahr 30 Minuten an ihrem Umgang mit Stress gearbeitet hatten, insbesondere in anspruchsvollen Fächern wie Naturwissenschaften und Mathematik erfolgreich waren. In der Kontrollgruppe waren es hingegen nur 47 von 100 Schülerinnen und Schülern.

Interessant war auch die Untersuchung der Auswirkungen auf Studierende, die im März 2020 aufgrund der Corona-Pandemie zum Fernunterricht wechselten und einige Monate zuvor an dem Stresstraining teilgenommen hatten. Im Rahmen eines vermeintlich unabhängigen Projekts füllten sie bis April einen Fragebogen über Ängste und Sorgen aus. Am Ende der Erhebung zeigte sich, dass sie niedrigere Ängstewerte hatten als Kommilitonen ohne Stressbewältigungstraining - allerdings galt dies nur für diejenigen, die sich zuvor als besonders stressanfällig eingeschätzt hatten.

Die Grundidee hinter der neu entwickelten Onlineübung beruht auf der Annahme, dass Stress nicht grundsätzlich negativ ist. Eine herausfordernde Situation bietet die Möglichkeit zum Lernen, und die körperliche Reaktion auf Stress kann zu Leistungssteigerungen führen. Die Forscher kombinierten diese beiden Denkweisen zu einem "synergistischen Ansatz": Nach dem Training sollten sowohl die stressauslösende Situation als auch die individuelle Reaktion darauf anders bewertet werden, um widerstandsfähiger und leistungsfähiger zu werden. Der Begriff "synergistisch" wird hier verwendet, da die Lerneinheit nur positive Effekte zeigte, wenn beide Denkweisen miteinander kombiniert wurden.

"Die bisher vorherrschende gesellschaftliche Reaktion auf das alarmierende Ausmaß von Angst und Stress war zu sagen, dass wir von jungen Menschen weniger erwarten sollten", betonen die Forschenden. "Unsere Studien legen jedoch nahe, dass wir Jugendlichen nicht beibringen sollten, dass sie zu schwach sind, um schwierige Probleme zu bewältigen." Die Forscher plädieren für einen stärkenden Umgang mit Stress, der hilft, für eine unsichere Zukunft gewappnet zu sein.

Obwohl das Training auf Belastungen in Schule und Studium ausgerichtet ist, zeigen die Experimente mit benachteiligten Jugendlichen und die Erhebungen während des ersten Lockdowns, dass der neu entwickelte synergistische Ansatz auch auf andere herausfordernde Situationen übertragbar ist. Dennoch möchten die Psychologen die Methode weiter an andere Kontexte anpassen. Letztendlich ist das kurze Onlinetraining darauf ausgelegt, dass möglichst viele Menschen davon profitieren können. Bisher ist die Schulung jedoch noch nicht öffentlich verfügbar. Die Psychologin Emma Ashworth von der Liverpool John Moores University, die nicht an der Studie beteiligt war, warnt jedoch davor, dass eine einmalige Übung eine Therapie nicht ersetzen kann.

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